EMINEM bietet uns auf Tone Deaf und Book of Rhymes mehr Pointen und fließende Variationen, wie die meisten Rapper in einer ganzen Karriere nicht abliefern könnten.
Für seinen zweiten Release in diesem Jahr 2020 – der wie sein Vorgänger ohne Vorwarnung veröffentlicht wurde – scheint Eminem genau das zu tun, was er tun will und reißt einmal mehr schlechte Witze am Fließband. “I’m ‘bout that capital like a proper noun”, “A penny has more sense”, “I’ll pee on your head like a Phillies hat”, “You heard of Kris Kristofferson? Well I’m Piss Pissedofferson.” Verfehlen diese Pointen häufiger Ihr Ziel, als das sie es treffen? Ja, ja, das tun sie. Ist es schwer zu entscheiden, wie man sich bei diesen vielen Witzen in der Toilette einer Grundschule fühlen muss, die von einem 48-jährigen Mann stammen, der zugibt, “5-0 creeping up on me like a patrol car”? Absolut. Aber es ist immer noch fast eine Erleichterung zu hören, wie er aufhört zu versuchen, jedermann für alle zu sein und einfach seinen inneren Adam Sandler rauslässt.
Die Musik ist weniger interessant als beim Vorgänger: Das Beste hier ist vielleicht Guns Blazing’s aufgewühlter Bass und Schlagzeug, die so programmiert sind, dass sie wie eine Folge von abgefeuerten Schüssen klingen, aber es gibt nichts, was dem chaotisch aufregenden Geräusch von „Music to Be Murdered By“ nahekommt. Es gibt auch keinen eindeutigen Triumph in Anlehnung an „Darkness“, eine brillante Darstellung der Massenerschießungen 2017 in Las Vegas aus der Sicht des Täters. Die spannendsten Momente kommen, wenn Eminem sein eigenes künstlerisches Dilemma direkt angeht und sich Sorgen darüber macht, dass er sich der 50 nähert – “I’ll be an old fart” – oder protestiert, dass die Leute “want you to change but don’t change … want the new but old Shady”. “Where am I supposed to go from here?” rapt er auf „Higher“. “Really I have no idea.” Es fühlt sich an wie ein berührender Moment der Ehrlichkeit und Klarheit. Dann kehrt er in den Slim Shady Modus zurück und macht einen weiteren Witz über seine Hoden.
Wie jeder Unruhestifter mittleren Alters verweist Eminem häufig auf die Gefahr, nicht mehr angesagt zu sein. Obwohl er im Gegensatz zu seinen Kollegen in den Bereichen Stand-up-Comedy und Meinungen der Presse nie besonders besorgt über die eigene Außendarstellung schien. Immerhin war es immer seine zuverlässigste Form der Selbstpflege, lyrischen Rotz mit gutem Geschmack aus dem sicheren Raum seines Studios zu werfen. Aber das, was Eminem einst so anziehend machte, war nicht seine Bereitschaft, Empörung auszulösen und schreckliche Dinge zu sagen – buchstäblich jeder kann das – es war seine Fähigkeit, die Unangemessenheit dessen, was er sagte, anzuerkennen und manchmal eine vorbeugende Entschuldigung anzubieten bei gleichzeitiger Verdoppelung der Straftat.
Es ist schwer vorstellbar, dass irgendjemand heutzutage daran glaubt, Slim Shady würde doch noch ein seriöser und aufrichtiger Mann von Welt werden. Und nach „Music To Be Murdered By – Side B“ zu urteilen, scheint er auch nicht allzu interessiert an dieser Rolle zu sein.