Anika – Anika

Kategorie: Albums, Experimental

KLANGSTART: Oktober 2010

In ihrem Sound vereint ANIKA den DIY-Geist des Punk mit schwerem Dub-Bass, der an die musikalische Verschmelzung der späten 70er und frühen 80er Jahre erinnert.

Anika’s selbstbetiteltes Debütalbum ist ein seltenes Biest: zugleich faszinierend, verstörend und tief berührend, ohne je den Anschein zu erwecken, gefallen zu wollen. Produziert von Geoff Barrow (Portishead, Beak>) und eingespielt mit Mitgliedern von Beak>, klingt dieses Werk, als hätte man eine Handvoll längst vergessener 60er-Jahre-Popsongs, politische Manifeste und post-industrielle Soundlandschaften in einem Keller zusammengeschnürt – und daraus ein unwirkliches, intensives Kunstprojekt erschaffen. Dass „Anika“ hauptsächlich aus Coverversionen besteht, wird in den offiziellen Materialien fast verschwiegen – vielleicht, weil das Album alles andere als eine bloße Neuinterpretation bekannter Lieder ist. Stattdessen dekonstruiert Anika die Originale bis auf ihr nacktes, oft verstörendes Skelett: Twinkle’s „Terry“ wird zur gespenstischen Totenklage, die Carpenters’ „End of the World“ verwandelt sich unter Anika’s emotionsloser Stimme und elektronischem Grollen in einen dystopischen Albtraum.

Anika’s Gesang – oft verglichen mit der kühlen Distanziertheit eines Nico – schwebt irgendwo zwischen menschlicher Zerbrechlichkeit und maschineller Unnahbarkeit. Sie singt nicht im klassischen Sinne; sie haucht, murmelt, klagt. Dabei liegt eine unheimliche Spannung in ihrer Zurückhaltung: Fast fühlt es sich an, als würde sie durch eine dicke Schicht aus Nebel und Trauer zu uns sprechen. Musikalisch verweben Barrow und Beak> Minimal Wave, Dub und das klapprige Funkeln des Post-Punks zu einem Sound, der gleichzeitig roh und sorgfältig komponiert wirkt. Tracks wie „Yang Yang“ (Yoko Ono) geraten zu bedrohlichen Anklagen an die Machtstrukturen der Gesellschaft, unterstützt von lärmenden, nervös flackernden Synths, die klingen, als würde eine Bohrmaschine ein Lied schreiben. Zwei Eigenkompositionen – „No One’s There“ und „Officer Officer“ – fügen sich nahtlos ein, auch wenn sie lyrisch etwas offensichtlicher und weniger faszinierend ausfallen als die Cover. 

Besonders bemerkenswert ist der doppelte Auftritt von Bob Dylan’s „Masters of War“: einmal als siebenminütiges, dunkles Dub-Epos, später als noch tiefer in Hall und Verzweiflung getauchte Remix-Variante. Diese wiederholte Konfrontation mit bitterer Antikriegsrhetorik unterstreicht das obsessive Moment der Platte – Anika lässt ihre Themen nicht los, sondern bohrt sich immer tiefer in sie hinein. „Anika“ ist kein Album für einen beiläufigen Abend – es ist eine Erfahrung. Es fühlt sich an wie ein geisterhafter Brief aus einer Welt, in der die Grenzen zwischen Liebeskummer, politischer Wut und psychischer Auflösung verschwimmen. Der Soundtrack zu einer Nacht, in der man spürt, dass etwas nicht stimmt, ohne genau sagen zu können, was. Vergleiche mit Syd Barrett’s spätem Werk oder den frühen, düsteren Momenten von Joy Division drängen sich auf – und doch bleibt Anika eigenständig: eine Mischung aus Hommage, Experiment und intimer Wahnsinnsstudie.

Man liebt dieses Album nicht sofort. Vielleicht liebt man es nie im klassischen Sinn. Aber wer sich auf die Abgründe von Anika einlässt, wird belohnt: mit einer künstlerischen Radikalität, die heute selten geworden ist – und mit Songs, die wie verlorene Geister lange nachklingen.

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