Poppy – Am I a Girl?

AlbumsSynth Pop, VÖ: Oktober 2018
Die eigenen Gefühle gegenüber der Internet-Pop-Sensation POPPY können verwirrend sein. Einerseits ist ihre Musik unendlich eingängig, ihr Image wirklich witzig und frech und humorvoll, und ihre ganze Sache ist wirklich gut gemacht, aber andererseits … naja … es ist ziemlich klar, dass sie eine Parodie des modernen Popstars sein soll.

Vor einigen Jahren noch konnte man eine enorme Fundgrube an bizarren Online-Kurzfilmen auf YouTube bestaunen. Hier war eine mysteriöse junge Frau, die beunruhigende Lynch-Videos erstellte, die die Themen des Tages mit messerscharfen Worten parodierte. Mitten in einer traumatisierenden Präsidentschaftswahl interviewte sie eine Pflanze mit Kulleraugen über Politik. Über eine Stunde lang las sie Passagen aus der Bibel wortwörtlich vor. In einem besonders ausgefallenen Kurzfilm (inzwischen entfernt) demonstrierte sie, wie man ein AK-47-Gewehr zusammenbaut und lädt. Seitdem hat sich Poppy schnell von einem viralen Performance-Kunstprojekt zu einem echten Popstar entwickelt, unterschrieb bei Diplo’s Label Mad Decent und veröffentlichte letztes Jahr ihr Debütalbum „Poppy.Computer“. Und während ihr zweites Projekt „Am I a Girl?“ sicherlich ein denkwürdigeres Unternehmen als sein Vorgänger ist, postuliert es sie nicht ganz als den transgressiven Popstar der Zukunft, für den uns ihre Albumkampagne glauben machen würde. Im Gegenteil, es verstärkt das Gefühl, dass ein entscheidender Teil ihrer Persönlichkeit auf dem Weg zum Mainstream verloren gegangen ist.

„Am I a Girl?“ beginnt auf die seltsame Art und Weise, wie wir es erwarten würden. „In A Minute“ startet die Platte mit Poppy’s mechanischer Popstar-Stimme, wobei das süße Instrumental eine lustige und sorglose Atmosphäre hinzufügt, um Poppy’s Stimme ein Gefühl von Menschlichkeit zu verleihen. In dieser Platte fühlt es sich an, als würde Poppy herausfinden, ob sie ein Roboter oder ein Mensch ist oder nicht. „In A Minute“ taucht mit dem Refrain ein: „Cash my check, gotpaid, yeah, I did it / I have not done my nails in a minute.“ Der folgende Track „Fashion After All“ wird noch ernster damit, während Poppy über ihr Make-up und alles, was mit Mode zu tun hat, singt. Zugegeben, dieser Song ist auf die verrücktesten Arten super eingängig und ansteckend, und Poppy macht wirklich einen guten Job darin, sich als der verrückteste Popstar zu verkaufen. „Iconic“ bleibt bei einer Botschaft, die sich über das ganze Album hinweg wiederholt und sich über die populäre Terminologie lustig macht, die verwendet wird, um unsere Pop-Ikonen zu beschreiben.

„Chic Chic“ ist die größte Kuriosität des Albums. Wenn Poppy einen Song wie „Chic Chick“ auf einem anderen Album außer diesem veröffentlicht hätte, hätte man annehmen können, dass dieser Song dazu gedacht ist, sich über die Standard-„Rah Rah Girl Power“-Pop-Kost lustig zu machen. Aber mit all den Inhalten, die „Am I a Girl?“ umgibt, kann man nicht anders, als das Gefühl zu haben, dass dieser Song zu 100 % ehrlich ist. Poppy meint es wirklich ernst mit diesem Song, und das ist wirklich charmant. Der Titeltrack ist ein weiteres Highlight des Albums mit einem soliden Refrain und aussagekräftigen Texten. Poppy leistet hervorragende Arbeit, indem sie Geschlechterstereotype niederreißt und eine rhythmische Darstellung von Geschlechtsdysphorie inszeniert. Textlich ist „Am I a Girl?“ das am weitesten entwickelte des gesamten Albums. „Girls in Bikinis“ funktioniert ähnlich lyrisch, als Protest gegen die Zweiteilung der Geschlechter. „Play Destroy“ und „X“ machen schwache Versuche, sich in das geschlechtsspezifische Thema des Albums einzufügen, scheitern aber letztendlich.

In Anbetracht ihrer schmuddeligen Töne passen beide nicht gut in das Schema des Albums, wobei „X“ das Bessere der beiden ist. Die beiden Zwischenspiele tragen mit mechanischen und roboterhaften Klängen, die versuchen, Poppy’s Cyborg-Persönlichkeit anzusprechen, ebenfalls wenig zum Album bei. Poppy’s neuestes Album ist ein leicht enttäuschender Spaziergang durch ein vorab erkundetes Gebiet, aber dennoch eine weitere solide Ergänzung in Poppy’s seltsamer und erstaunlicher Diskographie. Es ist ihr bisher experimentellstes Album.

7.2